Emigranto. Vom Überleben in fremden Sprachen

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9,80 

Deutschkron, Inge

96 Seiten, gebunden, fadengeheftet

Artikelnummer: 978-3-88747-159-0

Beschreibung

»Emigranto« wurde scherzhaft das Sprachengemisch genannt, das deutsche Emigranten in ihren neuen Ländern sprachen. Inge Deutschkron schreibt von der Not, sich aus existentiellen Gründen möglichst schnell in einer neuen Sprache ausdrücken zu müssen und über die manchmal unfreiwillig komischen Ergebnisse.

Die schon berühmte stolze Antwort eines deutschen Emigranten auf die Frage eines englischen Stromablesers nach dem Stromkasten (»Where’s the meter?«) lautete: »I’m the meter!« Irgendwann, beim Aufräumen in ihrer Wohnung in Tel Aviv, fand Inge Deutschkron ein zerfleddertes blaues Heft mit dem Aufdruck »County High School, Redditch«. Und darin, mit verschiedenen Stiften und Füllfederhaltern schnell notiert, eine Sammlung englischer Ausdrücke, Sätze oder Dialoge, die alle eines gemeinsam hatten: sie waren »deutsches« Englisch, also falsches, mißverständliches, komisch-verdrehtes oder völlig unverständliches Englisch.
Die Autorin, angeregt von diesem längst vergessenen Heft, erzählt von der schwierigen Situation besonders älterer Menschen, sich in und mit einer anderen Sprache zurechtzufinden, gerade dann, wenn sie beruflich auf sprachliche Gewandtheit angewiesen waren. Sie erzählt ebenso von der schnellen Eingewöhnung von Kindern und Jugendlichen in die neue Umgebung und Sprache, oft mit dem Ergebnis, daß sie für ihre Eltern den Dolmetscher spielten oder aber, daß sie mit ihren Geschwistern oder Freunden schon bald nicht mehr Deutsch, sondern Englisch in England, Hebräisch in Palästina etc sprachen, so daß sie erstens schnell ihre Deutschkenntnisse verloren und zweitens von ihren eigenen Eltern nicht mehr verstanden wurden. Entscheidend war auch, wie die »Einheimischen« auf die Sprachversuche der Eingewanderten reagierten; dies schwankte zwischen absoluten Nicht-Verstehen-Wollen (was unhöflich war und jeden Eifer, eine Sprache zu lernen, lähmte) und einer Bereitschaft, auch noch jedes Kauderwelsch als perfekte Äußerung zu akzeptieren (was höflich war, aber ausschloß, daß man aus Fehlern lernte).
Inge Deutschkron greift in vielen plastischen Beispielen einen wichtigen Aspekt der Emigration heraus, der zwischen Verzweiflung und (unfreiwilliger) Komik alles enthält, was ein Emigrantenschicksal ausmacht. Im Anhang zitiert sie einige Schriftstellerinnen und Schriftsteller (u.a. Max Hermann-Neiße, Carl Zuckmeyer, Thomas Mann, Hilde Domin), die sich über den hürdenreichen »Umzug« in eine neue Gesellschaft und eine neue Sprache geäußert haben.

 

Pressestimmen

Perlentaucher Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau
Wer eine Landessprache nicht beherrscht, hat es schwer – wie klug auch immer er sein mag. Diese Erfahrung haben zuhauf jüdische Emigranten gemacht, die zwangsweise ihre vertraute Sprache und Kultur gegen einen Neuanfang in fremden Ländern eintauschen mussten. Inge Deutschkron, die selbst den Naziterror im Berliner Untergrund überlebte, aber nach Kriegsende über England nach Israel auswanderte, hat diese Erfahrung festgehalten, berichtet Elke Schubert. Ihr Bericht klingt der Rezensentin noch amüsant in den Ohren, wenn auch, betont Schubert, die Verzweiflung der Emigranten, Missverständnisse in der neuen Sprache zu vermeiden und Sprachbarrieren zu überwinden, deutlich zu spüren sei. Der Verlust der Sprache ist der Verlust von allem, das ist Schubert nach der Lektüre mehr als deutlich geworden. Deutschkrons Buch empfiehlt sie auf jeden Fall allen, die den Begriff der deutschen Leitkultur positiv besetzen und anderen unterstellen, es gäbe nichts Schöneres, als das eigene Land aus wirtschaftlichen Gründen zu verlassen, um sich blindlings in eine neue Sprache und Kultur zu stürzen.
2.7.2001

Perlentaucher Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung
Als Sammlung »zum Teil köstlicher sprachlicher Fehlleistungen« findet Lothar Baier das Buch recht amüsant. Vor allem aber interessiert den Rezensenten der Gebrauchswert. Für nützlich und empfehlenswert hält er das Buch, weil es mit seinen Ausführungen zu den »Sprachleiden« deutscher Juden und Nazigegner im Exil einem Nachdenken über die Sprachschwierigkeiten heutiger Migranten auf die Sprünge helfen könnte. Und weil es zeigt, dass die Integration Fremder über die Sprache »weit weniger eine Geldfrage als eine Angelegenheit kulturell und gesellschaftlich geprägter Verhaltensweisen im Aufnahmeland ist.«
2.6.2001