Beschreibung
Genau 47 Kilometer schlängelt sich die Spree durch Berlin, und weil die Spree ein sehr langsamer Fluss ist (manchmal fließt sie sogar rückwärts), schafft sie nie mehr als 17 Kilometer pro Tag, ist also fast drei Tage durch Berlin unterwegs. Wer sich von ihr treiben lassen will, hat also genug Zeit, sich umzuschauen, sich kuriose, unbekannte oder auch gruselige Geschichten von ihren Ufern oder Inseln erzählen zu lassen und Geschichte und Stadt aus anderer Perspektive neu zu entdecken – vom Wasser aus.
Joseph Roth schrieb 1921: »Die Stadt hat, vom Wasser aus gesehen, eine andere Physiognomie: eine intimere und ehrfürchtigere zugleich. Die verborgenen Heimlichkeiten aller Häuser und neuer Mietskasernen offenbaren sich der Wasserseite. Höfe, Gänge, Balkons, alte Tore, Misthaufen, Intimitäten jener Häuser, die der lauten Straße gegenüber erschlossen und diskret sind. Vor der Verschwiegenheit des Wassers dürfen sie sich im Negligé zeigen.«
Leseprobe:
»Wer Fontane schätzt und vielleicht auch etwas über sein Leben gelesen hat, weiß, dass sein Schicksal eng mit der Weidendammer Brücke verbunden war, denn genau hier, mitten auf der Brücke hat er sich mit Emilie Kummer verlobt. Aber lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: »Nun war achter Dezember (1845), an welchem Tage mein Onkel August seinen Geburtstag hatte. Während der ersten Nachmittagsstunden erhielt ich, in Dreiecksform, einen Brief, der dahin lautete: ›Lieber Freund. Ich war eben zur Gratulation bei Ihrem Onkel und erfuhr zu meinem Bedauern, dass Sie durch Ihren Dienst verhindert sind, die heutige Geburtstagsfeier mitzumachen. Ich meinerseits werde da sein, bin aber in einiger Verlegenheit wegen des Nachhausekommens. Ich denke, Ihr Bruder soll mich um 10 bis an Ihre Apotheke begleiten, von wo aus Sie wohl den Rest des Weges übernehmen. Ihre Emilie Kummer.‹ Gleich nach zehn Uhr, von wo ab ich frei war, war das Fräulein da. Der noch zurückzulegende Weg war nicht sehr weit, aber auch nicht sehr nah: die ganze Friedrichstraße hinunter bis ans Oranienburger Tor und dann rechts in die spitzwinklig einmündende Oranienburger Straße hinein, wo die junge Dame wohnte. Da wir beide plauderhaft und etwas übermütig waren, so war an Verlegenheit nicht zu denken und diese Verlegenheit kam auch kaum, als sich mir im Laufe des Gesprächs mit einem Male die Betrachtung aufdrängte: ›ja, nun ist es wohl eigentlich das Beste, Dich zu verloben.‹ Es war wenige Schritte vor der Weidendammer Brücke, dass mir dieser glücklichste Gedanke meines Lebens kam und als ich die Brücke wieder um eben so viele Schritte hinter mir hatte, war ich denn auch verlobt.«