Beschreibung
In ihrem neuen Buch erzählt die preisgekrönte Autorin Carla Bessa von Frauen verschiedenen Alters und aus unterschiedlichsten Milieus, die alle etwas gemeinsam haben: Wir begegnen ihnen in vielschichtigen Liebesbeziehungen, ob mit ihrem Mann oder ihren Liebhabern, durchdrungen von Erwartung auf Lust, Befreiung und persönlicher Erfüllung, aber dann geprägt vom mühsamen Alltag, der Unentschlossenheit, Kinder zu bekommen, von Verrat und Verlust. Dieses Gemeinsame betrifft nicht nur die übliche gesellschaftliche und politische Rollenverteilung zwischen Frau und Mann: Es geht um die der Frau auferlegte Rolle als diejenige, die für Nachwuchs sorgt, sich um den Nachwuchs kümmern muss und so zu einem Leben bestimmt ist, aus dem sie sich nie ganz befreien kann.
Radikale, sprachlich variantenreiche und weit über feministische Gesellschaftskritik hinausgehende Erzählungen.
Leseprobe:
Der Sonntag, an dem ich starb
Was mich angeht, ich wache immer noch früh auf an regnerischen Sonntagen. Ich schaue immer noch zur rechten Seite, wo mein Mann früher schlief und dabei unser Haus festhielt. Und manchmal brummle ich in mein Kissen: Siehst du, Eduardo, das Haus steht noch. Und dann stehe ich auf, ohne auf das lose Brett zu treten, obwohl niemand mehr da ist, den das Geräusch stören könnte. Solche Anwandlungen, besonders nächtliche, einsame, gehen ins Körpergedächtnis über. Nach wie vor schenke ich dem Fersensporn keine Beachtung und humple ins Bad um mich im Spiegel zu sehen. Eigenartig: Seit ich allein bin, habe ich den Eindruck, dass die Leere abnimmt. Es ist eine fast unmerkliche Veränderung, eine leichte Färbung meines Abbildes dort im Spiegel, die Wangen rosiger oder in den Augen ein Glanz, der wiederkehrt. Ein Mensch mit einem besseren Gespür für die Wirklichkeit würde das auf den Widerschein des Morgenrots draußen zurückführen, den orangefarben, rot entflammten Himmel. Aber ich nicht, nein. Ich spüre mich allmählich wiederkehren. Bin weder überrascht noch erschrocken. Empfinde auch keinen Schmerz. Um ehrlich zu sein, empfinde ich so etwas wie Erleichterung. Alívio, sage ich leise vor mich hin in meiner Muttersprache, die Stimme fast nur ein Hauch, der Mund ganz nah am Spiegel, der von dem Wort beschlägt. Und es ist, als erschließe sich mir mit einem Mal die Bestimmung, die in meinem Namen steckt: Lívia – die Verblasste, Blasse, die Leichte, die Lichte.
– Lívia! – wiederhole ich laut, als rufe ich mich selbst.