Beschreibung
Es ist der 10. Oktober 1989. Die Tagesthemen machen mit einem leicht verwackelten Videofilm über die Riesendemonstration vom Vorabend in Leipzig auf. Der Moderator kündigt den Film als sensationellen Beitrag eines »italienischen« Teams an. In Wirklichkeit stammte das Video von zwei jungen Oppositionellen aus der DDR, Siegbert Schefke und Aram Radomski. Sie hatten sich in Ost-Berlin in der Umweltbibliothek kennengelernt, waren über verdeckte Kontakte unter anderem zu Roland Jahn an Videokameras aus dem Westen gekommen und hatten schon mehrere Dokumentationen über Umweltzerstörung und Stadtverfall in der DDR gedreht, die dann im Fernsehen der ARD zu sehen waren. Schefke und Radomski, beide ständig von der Stasi überwacht, hatten es mit etlichen Tricks und viel Energie geschafft, unerkannt nach Leipzig zu fahren, dort nach mehreren missglückten Versuchen auf dem Kirchturm der Reformierten Kirche einen Platz zum Filmen zu finden und den Film dann über einen befreundeten SPIEGEL-Journalisten in den Westen zu schmuggeln.
Siegbert Schefke, einer der beiden Akteure, schreibt nicht nur über dieses spannende Ereignis, sondern auch darüber, wie aus einem Maurersohn aus Eberswalde ein dezidierter Regimekritiker wurde, der im Unterschied zu vielen anderen Dissidenten nicht mehr auf eine Reform der DDR hoffte, sondern einen radikalen Umbruch wollte – und diesen mit viel taktischem Gespür, viel Mut und sehr riskanten Aktionen mit in die Wege leitete.
Leseprobe:
Wir klingelten am Gemeindebüro der Reformierten Kirche. Pfarrer Sievers öffnete die Tür. Wir sagten ihm, was wir vorhatten. Da standen wir nun und schwiegen. Was, wenn er NEIN sagen würde? Es dauerte zehn Sekunden. Dann sagte er: »Natürlich geht das.«
Der Hausmeister führte uns über eine sehr schmale, eiserne »Hühnerleiter« nach oben. Dort schob er eine schwere Dachluke zur Seite. Wir waren auf der obersten Plattform des Kirchturms angekommen. Wir legten uns auf den Boden, was nicht so angenehm war, denn er war von Taubendreck übersät.
Unten war alles noch menschenleer und dunkel. Keine Autos, keine Straßenbahn, keine leuchtende Straßenlampe und fast keine Menschen. Wir warteten. Sprechchöre waren zu hören. Dann kamen sie, eine unbeschreiblich große Menschenmenge näherte sich. In wenigen Minuten bewegte sie sich direkt unter uns. Welch ein Gefühl, wir waren total aufgeregt, wir hatten keinen Monitor, nur den kleinen Sucher. Später hörten wir uns auf dem Band flüstern: »Ist da überhaupt was zu erkennen?«. Einfach weiter drehen, nur laufen lassen. Aram fotografierte. Unten die Sprechchöre: »Wir sind das Volk«, »Neues Forum zulassen«, »Gorbi, Gorbi«, »Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht«.
Pressestimmen
G/GESCHICHTE Christoph Driessen
LESETIPP
Wenn Siegbert Schefke erzählt, wie er die Stasi an diesem Montagmorgen ausgetrickst hat, ist ihm die Freude darüber noch immer anzusehen.
September 2019
Deutschlandfunk Kultur Ute Welty
Seine Bilder gingen um die Welt … und er hatte viel Mut, gemeinsam mit anderen. Durch seine (und Aram Radomskis’ Videos über die Missstände in der DDR) endete die SED-Herrschaft früher.
13.8.2018
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