Jeder wird verrückt auf seine Art

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18,00 

Çapaliku, Stefan

Deutsche Erstausgabe
160 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

Aus dem Albanischen übersetzt von Zuzana Finger

Im Frühjahr 2024 erscheint sein zweiter Roman »Tirana. Ein kurzer Traum« bei :Transit

Sehen Sie hier die Lesung im Buchhändlerkeller Berlin mit Stefan Çapaliku und seiner Übersetzerin Zuzana Finger, 17. März 2021

Artikelnummer: 978 3 88747 390 7

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Categories: Belletristik, Roman

Beschreibung

Der Roman des albanischen Autors Stefan Çapaliku erzählt von den letzten zwanzig Jahren der kommunistischen Herrschaft in Albanien. Die Handlung beginnt im Jahr 1967, als Albanien zum atheistischen Staat erklärt wurde, und sie endet 1985 mit dem Tod des Allmächtigen, des Partei- und Staatsführers Enver Hoxha.
Die Zeit dazwischen wird aus der Sicht eines Heranwachsenden dargestellt, dessen Zeitrechnung sich am Erwerb und der Nutzung eines heiß ersehnten Fernsehgeräts orientiert. Die ohnehin engen Kontakte unter den Nachbarn und der Familie werden durch das gemeinsame Fernsehen von (verbotenen) italienischen oder jugoslawischen Sendern weiter intensiviert und bieten Überraschungen skurriler, origineller und tragischer Art.
Die Stadt Shkodra war vor der Machtergreifung der albanischen Kommunisten ein bedeutendes Religions-, Kultur- und Handelszentrum. Stefan Çapaliku, ein intimer Kenner seiner Heimatstadt, legt das dichte Gewebe aus venezianischen, osmanischen, österreichischen und albanisch-bürgerlichen Traditionen frei und brilliert mit einem ironischen, manchmal sarkastischen Blick auf die damaligen politischen Verhältnisse und auf eine archaische Familienstruktur, an der die politischen Zwänge abprallen.
Wohl noch nie ist die Realität eines kommunistisch dirigierten, längst abgewirtschafteten Landes mit einer so umwerfenden und bissigen Komik beschrieben worden wie hier.

Leseprobe:
Jak ist zu Besuch gekommen. Das Wort Besuch wurde damals überdurchschnittlich oft gebraucht. Die Menschen besuchten einander spontan und unangekündigt. Sie kamen einfach herein und setzten sich. Die Gastgeber hatten dann üblicherweise drei Pflichten zu erfüllen: Kaffee, Raki und Unterhal­tung. Oft waren die ersten zwei schwerer zu bewältigen als die dritte.

Jak saß mit übereinandergeschlagenen Beinen da. Er trug einen grauen Anzug und spitze braune Schuhe. Er war kahlköpfig und hatte ein scharf geschnittenes Gesicht. Er bekam ein Glas Raki serviert und wartete auf den türkischen Kaffee mit viel Zucker von meiner Oma.
»Er liegt im Kühlschrank.«
»Wer liegt im Kühlschrank?!«
»Na, Er doch. Ich weiß das aus sicherer Quelle. Sie lagern ihn im Kühlschrank, weil sie nicht wissen, wie sie uns das sagen sollen. Sie sind dazu nicht bereit. Sie haben Angst. Aber das dauert nicht mehr lange. Es ist bald vorbei.«
Das war mehr oder weniger das, was Jak sagte. Er meinte den Dikta­tor. Enver Hoxha. Es wurde gemunkelt, dass er an einer ­unheilbaren Krankheit litt. Eine Art akute Diabetes, die nach und nach alle Organe beschädigte. Deshalb war er, also Jak, davon überzeugt, dass Enver Hoxha nicht mehr lebt und dass sein Leichnam in der Pathologie liegt, die von Jak Kühlschrank genannt wurde. Das war natürlich hochgeheim, aber Jak wusste es dennoch. Woher, das behielt er für sich.

 

Pressestimmen

KulturPort Dagmar Reichelt
Interview: Was ist so „magisch“ am Kommunismus beziehungsweise am Albanien deiner Kindheit und Jugend gewesen? Worin besteht jenseits der Absurdität und Tragik Albaniens dessen vergangener und heutiger „Zauber“?
Stefan Capaliku: Ich, der ich unter dem Kommunismus geboren und aufgewachsen bin und nun eine langwierige und absurde Übergangszeit durchlebe, kann weiterhin behaupten, mich glücklich zu schätzen: Es gibt kein wertvolleres Geschenk für einen Schriftsteller als das, in einer bewegten Zeit zu leben. Deshalb gehöre ich zu denen, die glauben, dass das Leben der Literatur und der Kunst weit voraus ist. Auf besondere Weise hat das Leben in diesem kleinen Land, das Albanien heißt, schon so viel Geschichte hervorgebracht und bringt sie weiterhin hervor. Unendliche Geschichte.
23.1.2023
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Deutschlandfunk Kultur Jörg Magenau
»Wie man als Kind das Leben in einer Diktatur erlebt, schildert Stefan Çapaliku in seinem Roman. Der Autor schreibt anekdotisch, in kurzen Szenen, an seinen Erinnerungen entlang. Çapaliku verzichtet auf eine sich entwickelnde Handlung und auf konturierte Hauptfiguren. Der Tonfall ist  dem kindlichen Erleben angemessen. Çapaliku schafft es auf diese Weise, den albanischen Alltag unter Enver Hoxha lebendig und verständlich zu machen. Das Buch endet 1985, als Enver Hoxha dann wirklich stirbt und mit ihm auch diese absurde, seltsam zurückgebliebene Epoche der Isolation zu Ende zu gehen beginnt. In der letzten Szene scheint sich ein Wunder zu ereignen. Ein Alter, der seit Jahren erblindet im Bett liegt, behauptet, wieder sehen zu können. Die Familie ist sich einig: Jeder wird verrückt auf seine Art. Doch erst jetzt, nach dem Tod des Diktators, wird die Verrücktheit greifbar, denn vorher war die Verrücktheit der Verhältnisse normal. Und diese Verrücktheit zeigt Çapaliku sehr schön. Es ist ein einfaches, sympathisches und schlichtes Buch, das aber sehr viel verstehbar macht über diesen Alltag. Ein feiner Roman.«
14.6.2022
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Bunter Bücherladen, Filderstadt Ulrich Straub
»Wunderbar absurd und voller Witz wird die untergehende kommunistische Diktatur Albaniens und die noch absurderen Anpassungen der Menschen an diese Diktatur erzählt – ein Text von ungeahnter Aktualität.«

Münchner Abendzeitung Volker Isfort
»Stefan Capalikus kurzer, intensiver Roman bietet einen seltenen Einblick in den albanischen Alltag in dunklen Zeiten. Er führt zurück in die Zeit, als Diktator Enver Hoxha mit eiserner Faust das Land in ein großes Gefängnis verwandelt hatte. Fast niemand konnte das Land verlassen oder besuchen – und der Rest der Welt wusste fast nichts von den Lebensumständen im rückständigsten und ärmsten Staat Europas. Die Politik sickert allerdings nur allmählich in die von Capaliku ausgebreitete Familiengeschichte, denn der Erzähler ist ein Junge und mit ganz anderen Problemen beschäftigt: der Angst vor dem Besuch des Zahnarztes in der Schule, dem Schwindelgefühl beim Erblicken der nackten Nachbarin im Badezuber. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse… Geschickt balanciert Stefan Capaliku zwischen skurriler Balkanidylle und politischem Abgrund.«
13.4.2022
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BR24-Kulturnachrichten Moritz Holfelder
»Stefan Capaliku erzählt vom Aufwachsen in Albanien. Beobachtungen. Kleine Alltagsszenen. Die Hauptstadt Tirana. Dazu Erläuterungen zu Geographie, Natur und politisch-gesellschaftlichen Veränderungen. Die Stadt Shkodra, in der der Autor 1965 auf die Welt kommt, war vor der Machtergreifung der Kommunisten ein bedeutendes Religions-, Kultur- und Handelszentrum. Çapaliku legt ein dichtes Gewebe aus venezianischen, osmanischen, österreichischen und albanisch-bürgerlichen Traditionen frei. Der knappen genauen Sprache entsteigen stimmige Bilder, ganz im Sinn eines Bildungsromans, der mit seinem Helden wächst.
Oft mit einem ironischen Unterton und amüsant nachvollziehbar porträtiert Stefan Capaliku ein Land und seine Familie zwischen politischen Zwängen und europäischen Visionen. Das liest man gerne, weil es das Persönliche so raffiniert wie bissig im Politischen spiegelt, und umgekehrt, dazu ein Gespür hat für die Skurrilitäten des Lebens.

Büchermagazin 3/2022
»Stefan Çapaliku brilliert mit einem ironischen, manchmal sarkastischen Blick auf die damaligen politischen Verhältnisse und auf eine archaische Familienstruktur, an der die politischen Zwänge abprallen. Wohl noch nie ist die Realität eines kommunistisch dirigierten, längst abgewirtschafteten Landes mit einer so umwerfenden und bissigen Komik beschrieben worden wie hier.«