Stunde der Stille

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19,80 

Klíma, Ivan

253 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag

Aus dem Tschechischen von Maria Hammerich-Maier

Artikelnummer: 978-3-88747-268-9

Categories: Belletristik, Roman

Beschreibung

Eine kleine Sensation: Ivan Klímas »Stunde der Stille« ist sein erster Roman, ein in Deutschland unbekannter Schlüsselroman, der nach seinem Erscheinen in Prag 1963 schnell vergriffen war und dann der Zensur zum Opfer fiel…
Da ist der idealistische Landvermesser und Ingenieur Martin Petr, der aus Prag in die ferne Ostslowakei geht, um Bauern und Dörfer vor Überschwemmungen zu retten. Da ist Pavel, ein junger Mann, der den Älteren gern zuhört und schnell lernt; oder der Partisan Smoljak, der nach dem Verräter sucht, der seine ganze Familie den Nazis ausgeliefert hat (das war der sehr fromme Pfarrer); der pazifistische Holzfäller, der aus Kanada zurückgekommen ist und im Dorf als »Arzt« sowohl für Menschen wie für Tiere zuständig ist, aber bald verhaftet wird; es sind Frauen, die endlich aus den bäuerlichen Traditionen ausbrechen wollen; es sind (zu Recht) misstrauische und sture Bauern, die Agitatoren mit Knüppeln vom Hof treiben; stalinistische und korrupte Funktionäre, die mit allen Mitteln ihre Macht sichern; es sind Säufer, Marodeure, versprengte Soldaten – ein wildes Panoptikum unterschiedlichster Biographien und Interessen, das sich aber im Laufe des Romans zu einer einzigen und unausweichlichen Erkenntnis bündelt.
Der Roman basiert auf einer langen Recherche für einen Spielfilm, den Klíma über die Entwicklung des Sozialismus in der Ostslowakei, einer völlig unterentwickelten, armen und weithin unbekannten Region zwischen Polen, der Ukraine und Ungarn, mitgestalten sollte. Der Film durfte nicht produziert werden, seine Notizen und Erlebnisse verarbeitete Klíma zu einem Roman, der die Zeit vom Kriegsende bis Anfang der fünfziger Jahre umspannt.

 

Pressestimmen

Frankfurter Allgemeine Zeitung Hans-Peter Riese
»
Das Buch ist ein wichtiger Fund aus den Anfängen der Emanzipation der tschechischen Literatur der Nachkriegszeit. Nach diesen Geschichten vom Scheitern, von Lügen und Betrügen führt kein Weg mehr zurück, weder stilistisch noch politisch. Klíma gelingen in diesem ersten Roman eindrucksvolle Charakterstudien aus einem Milieu, das denkbar weit entfernt von den kulturellen Erfahrungen des Prager Intellektuellen war. […] Für den Reporter Klíma ist dieses Buch nicht nur der Beginn seiner Karriere als Romancier, sondern vor allem die Emanzipation von seinen Jugendidealen. Er sollte danach nie mehr an eine Ideologie glauben: Somit handelt es sich bei ›Stunde der Stille‹ um ein profundes Buch der Aufklärung, das man unbedingt lesen sollte, um zu begreifen, wie diese Generation sich stellvertretend für viele befreit hat.«

Neue Zürcher Zeitung Alena Wagnerová
»Wer über die Mechanismen der Verwandlung der Ideale in eine Ideologie nachdenken will, sollte es unbedingt zur Hand nehmen. […] Aus dem Stoff, wie geschaffen für einen im Stil des sozialistischen Realismus geschriebenen «Aufbauroman», macht Klíma eine moderne hochliterarische Erzählung, indem er den einheitlichen Erzählstrang in einzelne Episoden auflöst, die zwar zusammen ein Ganzes bilden, aber doch eine freiere thematische Bewegung möglich machen. Damit bildet er die Lebenswelt des Dorfes in seiner Fülle ab, erfindet sie aber literarisch neu. Die Figuren bekommen durch diesen Kunstgriff ihr eigenes Lebensrecht und ihre eigene Würde, damit aber auch den Zug einer Uneindeutigkeit, der allem Lebendigen eigen ist – auch in der Literatur. Schon in der Wahl der Form lässt sich also eine subtile Revolte gegen die ideologisch-stilistischen Vorschriften des sozialistischen Realismus erkennen.«
3.11.2012
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Sächsische Zeitung Monika Melchert
»Der Roman rührt auf merkwürdige Weise immer noch an – intensiv und doch wie aus einer längst vergangenen Zeit. […] Er zeigt jene historische Stunde zwischen zwei Zeitaltern, wo noch alles möglich schien und eine Utopie auch die einfachsten Menschen ergriffen hatte. Man versucht, etwas Neues aufzubauen und sich trotz allen Elends nicht unterkriegen zu lassen. Ivan Klima erzählt das in schönen, lebendigen Geschichten, aus einem tiefen Mitgefühl mit den kleinen, benachteiligten Leuten.«

Friedrich Christian Delius, Autor
»Habe vorhin Klíma zuende gelesen: ein wirklich großes Buch! Wenn es nicht so blöd klänge: ein Jahrhundertroman, denn ich wüsste nicht, wo sonst in der europäischen Literatur die Phase des Scheiterns des Aus-guten-Gründen-besser-machen-wollens nach diesem Scheißweltkrieg besser, dh. differenzierter und unideologischer und menschennäher sowie poetischer dargestellt worden wäre. Bei der ersten Hälfte dachte ich noch: Vieles kenn ich vom frühen Heiner Müller (Geschichten aus der Produktion und Umsiedlerin vor allem), vielleicht auch von Bräuning und andern, aber die hartnäckige Verweigerung des happy end bis auf die schüchternen Schlusszeilen macht das Buch einzigartig. Daran müsste eigentlich die ›kritische‹ DDR-Literatur gemessen werden.«

Kölner Stadtanzeiger Wolfgang Schiffer
»
Welch ein Glücksfall: Beinahe wäre der inzwischen 81-jährige Autor und sein Werk hierzulande wieder in Vergessenheit geraten, da erinnert uns die erstmals ins Deutsche übertragene Publikation seines 1963 erschienenen belletristischen Erstlingswerks an das beeindruckende, kraftvoll-literarische Können des Schriftstellers. […] Klíma, der später wegen seiner kritischen Haltung aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde und Publikationsverbot erhielt, muss das schon im Keim des Systems und in dessen Widerspruch zur menschlichen Natur angelegte Scheitern früh geahnt haben: Sein Roman zeugt davon in ebenso realistischer wie poetisch wuchtiger Weise.«

Süddeutsche Zeitung Karl-Markus Gauss
»Es ist beachtlich, mit welcher Wucht Klíma in seinem ersten Roman von einer archaisch anmutenden Welt erzählt und mit welcher Wahrhaftigkeit er die Abgründe seiner Protagonisten auslotet. […] Klíma behauptet sich schon in seinem ersten Roman als Moralist, der weiss, dass es das größte Unglück ist, zu lügen, zu betrügen, sich und den nächsten zu verraten. Immerhin einen Lichtblick gewährt der den Lesern: dass im Scheitern des Idealisten mehr Hoffnung liegt as in den Siegen der Opportunisten.«
3.11.2012
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Die Tageszeitung TAZ Katharina Granzin »Klíma entwirft ein grandioses Personenpanorama, das die Brüche und Verwerfungen der Geschichte im Kleinen und am einzelnen Schicksal exemplarisch vorführt. Durch den umfassenden Zugriff auf sein Thema gewinnt der Roman eine geradezu existenzialistische Qualität, die ihn über sein eigentliches Thema weit hinausführt. Wofür lebt der Mensch? Für das Land, das Glück aller, den Fortschritt, die Liebe, den Kommunismus?«
7.7.2012
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Der Tagesspiegel Katrin Hillgruber
»Ein faszinierender Fund … So sind Klimas Geschichten über die alte Jurcova, der von den Deutschen das Haus zerbombt und das wiederaufgebaute Heim von den Kommunisten weggenommen wird; vom Pazifisten und Heilkundler Laborecky, den slowakische Faschisten abführen; über den katholischen Priester, den die Parteifunktionäre beim Messdienst stören, der im Krieg aber auch Widerständler verriet und nun dafür büßen soll; und von Pavel und Janka, deren Liebe und jugendliche Ausbruchsversuche scheitern müssen in einer Gesellschaft, die Privatheit und Persönliches als Bedrohung versteht; so sind diese düsteren, doch wunderbar erzählten Geschichten auch ein Ruf nach Freiheit.«

Frankfurter Rundschau Mathias Schnitzler
»Das Schweigen des Dorfes bezwingt den Fortschritt. Auf diese Formel lässt sich Ivan Klímas Debütroman bringen. Sein nun erstmals auf Deutsch zu entdeckendes Buch aus dem Jahr 1963 ist eine wirklichkeitsgesättigte und zugleich hochpoetische Ballade vom Scheitern einer hehren Idee in einer ostslowakischen Flusslandschaft, in der das Hochwasser seit jeher den Rhythmus des Lebens bestimmt. Es geht aber auch um den Stolz und das Selbstverständnis eines von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg als ›Partisanengegend‹ schwer versehrten Landstrichs. Raffiniert unterläuft Stunde der Stille die Gattung des Aufbauromans, der nicht nur in der DDR ›vom Urschlamm in die LPG‹ führen sollte, wie ein geflügeltes Wort lautete. Die Passivität der Dorfbewohner, die für die Kollektivierung ihre letzten Sicherheiten opfern sollen, treibt die Parteifunktionäre in die Verzweiflung. ›Diesen Roman zu schreiben, war für mich damals sehr anspruchsvoll‹, sagt der heute 80-Jährige. ›Ich hatte Befürchtungen, ob ich es schaffen würde, auch die Seele, das Denken, die Gefühle der Menschen zu erfassen.‹ Er hat es geschafft.«
7.5.2012